07.04.20 - 31.05.20

Otto Freundlich: Die Geburt des Menschen

Katja Zakharova M.A.

07.04.20 - 31.05.20

Eines meiner Lieblingskunstwerke im Museum Ludwig ist das farbenfrohe Mosaik „Die Geburt des Menschen“ von Otto Freundlich aus dem Jahr 1919.

Der deutsche Maler und Bildhauer Otto Freundlich wurde 1878 in Stolp (Pommern, Polen) geboren und war einer der ersten Vertreter der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts. Nach den Studien- und Ausbildungsjahren in Berlin findet Freundlich ab 1908 schnell Anschluss in den avantgardistischen Künstlerkreisen in Paris. Im fruchtbaren Austausch mit den Expressionisten, Kubisten und Dadaisten entwickelt er jedoch seinen ganz eigenen Stil. Sein Werk ist bei weitem nicht so bekannt, wie das von Wassily Kandinsky oder Robert Delaunay. Der geringere Bekanntheitsgrad des Künstlers hängt sicherlich eng mit seinem persönlichen Schicksal zusammen. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurde Freundlich aufgrund seiner jüdischen Herkunft und als überzeugter Kommunist als „entarteter“ Künstler diffamiert. Er wurde verfolgt und schließlich 1943 in einem Konzentrationslager ermordet. Freundlichs Kunstwerke wurden zusammen mit vielen anderen Werken der Moderne aus den deutschen Museen entfernt und größtenteils zerstört oder ins Ausland verkauft.  Die Monumentalplastik „Großer Kopf“ ist wohl bis heute sein bekanntestes Werk (Bild zeigen).  Als Titelbild für den Ausstellungskatalog „Entartete Kunst“ wurde Freundlichs Skulptur 1937 von der NS-Propaganda missbraucht und verhöhnt. Der Verbleib dieser Plastik ist bis heute ungeklärt. Nur ein Bruchteil des umfangreichen Gesamtkunstwerks Freundlichs aus Gemälden, Skulpturen und Glasmalereien ist erhalten geblieben. Es hat lange gedauert, bis Otto Freundlich in Deutschland als Künstler wieder rehabilitiert wurde. Doch seit jüngster Vergangenheit erfährt sein Gesamtkunstwerk zunehmende Wertschätzung. Der Pionier der abstrakten Malerei wird somit wieder ins richtige Licht gerückt.

Eines der zentralen und eindrucksvollsten Werke Freundlichs ist das Mosaik „Die Geburt des Menschen“. Das Medium des Mosaiks ist für einen Künstler eher ungewöhnlich und zeigt, wie wichtig für Freundlich das Zusammenspiel aller Gewerke und Kunstrichtungen war. Für ihn gab es keine Hierarchie unter den Künsten: das Handwerk gehörte genauso dazu wie die Malerei oder Skulptur. Die leuchtenden Farben des Mosaiks erwecken Assoziationen mit den bunten Glasmalereien in den Kirchen. Freundlich hatte die Gelegenheit, die Glasmalerei der gotischen Kathedralen bei einem mehrmonatigen Aufenthalt in Chartres zu studieren. Kurz vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges bezog er im Nordturm der Kathedrale von Chartres ein Atelier. Diese Erfahrung war prägend für seine künstlerische Entwicklung.

„Die Geburt des Menschen“ wurde ursprünglich für die Villa des Tabakhändlers und Kunstmäzens Josef Feinhals in Köln-Marienburg 1919 geschaffen, wo es jedoch nie installiert wurde. Diese Tatsache erwies sich als glückliche Fügung für das Schicksal des Kunstwerks. So überstand es in einem Schuppen unbeschadet sowohl die nationalsozialistische Kampagne gegen die künstlerische Moderne als auch die verheerenden Bombenangriffe auf Köln, bei denen die Villa des Auftraggebers stark beschädigt wurde. In der Nachkriegszeit schenkte Feinhals` Witwe Maria das Mosaik der Stadt Köln, die es wiederum im Foyer des neu errichteten Opernhauses am Offenbachplatz unterbringen ließ. Anlässlich der großen Retrospektive „Otto Freundlich. Kosmischer Kommunismus“ wurde das Mosaik 2017 ins Museum Ludwig gebracht und ist bis heute dort zu sehen.

Das monumentale Mosaik aus vielen bunten Glassteinen hat ein Maß von ca. 2 x 3 Meter und wiegt ganze 800 Kilo. Zu sehen ist ein erwachsener, muskulöser Mann mit einem schmerzverzerrten Gesicht, der sich in einer aufwärtsstrebenden Bewegung aus den elliptischen Formen hervorkämpft. Auf seinen Schultern lastet ein dunkelfarbener Bogen, der die Figur als einen Atlanten unter einer schweren Last erscheinen lässt. Die Geburt ist als ein Kraftakt zu verstehen. Doch trotz all der Anstrengungen ist der Mensch ein Schaffender, der Schmiede seines eigenen Glücks und hält daher einen Zirkel in der Hand. Nur er alleine kann seine Zukunft gestalten und wird als ihr eigentlicher Architekt dargestellt. Flankiert wir er von zwei Gestalten, die man in den elliptischen Formen erst beim genauen Hinsehen entdeckt. Diese, sich an die Kurven schmiegenden, Figuren können nicht  eindeutig interpretiert werden. Eine Erklärung des Künstlers selbst gibt es dazu nicht. Man könnte sie möglicherweise für Gegensätze halten, aus denen alles Neue entsteht. Die über den Bildrand hinausgehenden Strahlen verbinden diese zwei Figuren mit den äußeren Bereichen und erinnern so an einen sakralen Vorgang, etwa an eine Erleuchtung. Die Grundfarben Gelb, Rot und Blau dominieren das Bild und werden durch ihre Mischfarben Violett, Orange und Grün zu einem perfekten Ganzen zusammengefügt. Dabei spielt Otto Freundlich auf die verschiedenen Farbenlehren an, die es zu seiner Zeit gab. Das Zusammenspiel der Farben sah Freundlich stets in einem Zusammenhang mit dem großen Ganzen. In dem Kommunismus, für den er kämpfte, sollte es keine Grenzen mehr „zwischen Welt und Kosmos, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mein und Dein, zwischen allen Dingen, die wir sehen“ geben.

Das Mosaik kann als ein zentrales Werk in Freundlichs Œuvre betrachtet werden. Es stellt den Übergang zwischen der ersten, noch figürlich bestimmten Schaffensperiode und dem stets abstrakter werdenden Spätwerk dar.

Das Mosaik an für sich ergibt erst Sinn, wenn alle Teile des Puzzles an ihrem richtigen Platz sind. Keines der kleinsten Steinchen darf fehlen. Das Universum ist erst vollkommen, wenn alle Individuen daran teilnehmen und zusammenarbeiten. „Gemeinsam ist man stark“ könnte man fast Freundlichs Theorie formulieren. Ein Ansatz, der uns in der heutigen Zeit aktueller denn je vorkommt.

Wenn das Museum Ludwig seine Türen wieder öffnet, findet Ihr das Mosaik samt weiterer Kunstwerke von Otto Freundlich auf der 2. Etage – mit einem fantastischen Blick zum Rhein und der Hohenzollernbrücke.

 

Wer übrigens sehen möchte wie das Mosaik 2017 aus der Kölner Oper ins Museum Ludwig gebracht wurde, der kann sich dieses Video anschauen: https://vimeo.com/208276946