19.05.20 - 30.06.20

Schau mir in die Augen und sag dann was Du fühlst…

Annika Flamm M.A.

19.05.20 - 30.06.20

Das TAPP UND TASTKINO von 1968 im Museum Ludwig – 
eine legendäre Performance der Ikone & Rebellin Valie Export!
Autorin: Annika Flamm (familie&kunstfreunde + job&kunstfreunde)

Am 17. Mai 2020 feiert die österreichische Künstlerin VALIE EXPORT ihren 80. Geburtstag. Sie zählt zu den Wegbereiterinnen des experimentellen Films und Kinos der 1960er und 1970er Jahre und wurde zu einer Ikone des Feminismus.

In ihrem Schaffen hinterfragt sie die Bedingungen und Möglichkeiten der Medien (Video/Film) sowie deren Verhältnis zum (weiblichen) Körper und zur Gesellschaft. Frühe Arbeiten zeichnen sich besonders durch die Aktionskunst, das Medium Film und die Ablehnung von Gender-Clichés aus. Das Publikum polarisiert sie mit ihren Arbeiten nicht zuletzt durch ihre eigene Person, die sie gekonnt inszenierte. Sie ist als Frau in der Kunst nicht länger dekorative Muse oder lediglich schönes Modell, sondern legt diese bisherige Frauenrolle ab und versteht sich selber als Künstlerin. 1967 nahm sie den Künstlernamen VALIE EXPORT als künstlerisches Konzept an und manifestierte ihre Loslösung vom patriarchalisch geprägten Familiennamen – sei er durch den Vater oder den Mann auferlegt. So sensibilisiert sie auch hier für institutionsreflektierende und geschlechterspezifische Fragestellungen.

Eine der bekanntesten Aktion ist das TAPP und TASTKINO aus dem Jahr 1968. EXPORT kombinierte hier die Themen Kino und Feminismus in radikaler und vielleicht nicht nur für die damalige Zeit schockierende Weise. Ähnlich wie in ihrer Aktion Genitalpanik von 1968. Durch eine Selbstinszenierung, in welcher sie eine Hose mit sichtbarem Genitalbereich trug, parodierte sie die männlichen phallischen Attitüden. Marina Abrahmovic wiederholte die Aktion 2005 im Guggenheim Museum.

Für das TAPP und TASTKINO montierte VALIE EXPORT im Rahmen des 1. Europäischen Treffens der Unabhängigen Filmemacher 1968 in München eine Vorrichtung auf ihren nackten Oberkörper und rief dazu auf, durch eine Öffnung im vorderen Bereich hineinzugreifen und die Brüste der Performerin anzufassen.
Die Aktion wurde dokumentiert, so dass ein Einkanalvideo die Performance und die Reaktionen auf die Künstlerin heute noch bezeugt. Das Museum Ludwig beherbergt außerdem noch eine Vitrinenzusammenstellung, die das TAPP und TASTKINO nicht in Bewegtbild festhält, sondern die künstlerische Inszenierung durch Zeitungsausschnitte, Konzeptpapiere, eine Chronologie der Aufführungen sowie eine Reihe von Fotoabzügen dokumentiert. Die Vitrine entstand 2011 anlässlich einer Ausstellung in Bregenz und wurde von der Künstlerin nachträglich als eigenes Werk autorisiert. Das Ausstellungsobjekt enthält unter anderem einen Text von Lutz A. Grzegorzitza aus dem Jahr 1969, welcher EXPORTS Aktion wie folgt beschreibt:

„[…] er ist der erste Straßenfilm, der erste mobile Film und der erste echte Frauenfilm. Die Vorführung findet stets im Dunklen statt. Nur ist der Kinosaal etwas kleiner geworden. Es haben nur zwei Hände in ihm Platz. Um den Film zu sehen, das heißt in diesem Fall den Film zu fühlen und zu spüren, muß der Zuschauer seine beiden Hände durch den Eingang in den Kinosaal führen. Der Besucher der Vorstellung ist gratis und jugendfrei.“

VALIE EXPORT selbst sah das erweitert Kino – das Expanded Cinema – als Möglichkeit die Zuschauer*innen damit zu konfrontieren, was sonst im abgedunkelten Kinosaal verborgen blieb: der voyeuristische Blick auf den Körper der Frau. Es war nun die Künstlerin, die ihren Körper als Medium, als Demonstrationsobjekt selbstbestimmt einsetzte, in Filmen und Performances, um politische, feministische, aber vor allem auch künstlerische Positionen zu manifestieren.

In der Kunst der 60er und 70er Jahre wurden nicht nur veraltete Rollenbilder und Vorstellungen verarbeitet, sondern auch die neusten Techniken und Wissenschaften reflektiert. Mit dem Siegeszug der Aktion- und Performancekunst ging auch die Entdeckung der Neuen Medien einher, so dass dem Video und Film eine größere Bedeutung zukamen. Vor allem die Frauen in der Kunst nutzen die noch nicht so lange als männlich besetzt geltenden Möglichkeiten der künstlerischen Umsetzung, wie Carolee Schneemann und Gina Pane in den USA, Yoko Ono in Japan oder Ulrike Rosenbach in Deutschland.
Diese immaterielle Kunst auszustellen, wird heute durch die Installation von Screens oder Filmvorführungen möglich oder, wie im Fall der Vitrine durch die Bereitstellung von Fotos, Zeitzeugenberichten, Beschreibungen und ähnlichem.

Danke, VALIE EXPORT und allen weiblichen Künstlerinnen der Frauenbewegung und Sexuellen Revolution für die Pionierarbeit!

Videos zu VALIE EXPORT und ihrer Performancekunst:

•  https://absolutmedien.de/film/497/VALIE+EXPORT+-+Ikone+und+Rebellin
•  http://www.medienkunstnetz.de/werke/tapp-und-tastkino/video/1/

 

Bildangabe:
VALIE EXPORT: TAPP und TASTKINO, 1968, Installation; Video und Fotografie, 1:21 min, 49,5 x 61 cm, Museum Ludwig (ML/SK 5147, Köln), (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_d039028), © VG Bild-Kunst, Bonn 2020.
https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05016148