
„Können diese Augen lügen?

Das ist ein echter Trigger:
Der Bildausschnitt auf den Eintrittskarten, auf dem Plakat, dem Katalog! Das Kolorit, die klaren, kräftigen Farben und Kontraste, das elegante Profil des jungen Mannes im linearen Stil, gegen das flächige Blau, die Weite des Blickes, ….
Kitschig, zu pingelig, zu idealisierend gemalt, sich wiederholende Motive und dann diese zum Himmel gerichteten Augen!
So urteilte ich schnell über die Bilder von Guido Reni vor mehr als 30 Jahren als Akademie Student. Eine befreundete Malerin hatte mir den Tipp gegeben, wenn Du in Bologna bist, schau Dir Renis Gemälde an.
Über Reni habe ich in den folgenden Jahren nicht weiter nachgedacht.

Und jetzt diese umfassende Retrospektive im Frankfurter Städel!
Die Ausstellung hat mich überrascht:
Guido Reni, ein Superstar des Barock, einer der gefragtesten und teuersten Maler seiner Zeit! Sehr, sehr viel Geld verdiente er, verspielte beim Glücksspiel große Summen, verschenkte großzügig an Bedürftige. Er konnte es sich erlauben, gelegentlich nach dem Prinzip „pay what you want“ seine Bilder bezahlen zu lassen. Geschäftlich und psychologisch war das sehr geschickt.
Der Aufstieg zum Superstar gründete auf seinem Branding:
Klaren Kompositionen, Reduktion auf das Wesentliche des Inhaltes, wunderbaren Farbkontraste, ein exquisites Farbkolorit, feinste Valeurs in den Hauttönen, das Leuchten der Farben und (!) die himmelwärts gerichteten, entrückten Blicke, die in fast allen Gemälden als Motiv zu entdecken sind.
Durch das Prinzip der Wiederholungen mit kleinen Veränderungen bediente Guido Reni, unterstütz durch eine grosse Werkstatt, die immense Nachfrage.
Dieses Geschäftsmodell wirkt sehr aktuell!
„Il Divino“, „Der Göttliche“ wurde Reni von seinen Bewunderern genannt, ein Titel, der ihm nicht gefiel, da er sein malerisches Können hart erarbeitet hatte. Zur Genialität gehört eben Übung,Übung, Übung; so wird es auch im hervorragenden begleitenden Audioguide kommentiert.
Seine wunderbare malerische handwerkliche Kompetenz wurde mir insbesondere in der Darstellung der Blicke bewusst … So fokussierte ich meine Rezeption auf diese Details:
der Kopf der Abgebildeten ist himmelwärts gerichtet, leicht in das Dreiviertel Porträt gedreht, so sieht man die Augen schräg von unten, die Pupille wird vom Oberlid halb verdeckt, die Augäpfel erscheinen sehr plastisch, man nimmt die Dicke des Oberlides und die Tränendrüsen wahr, Farbverläufe gehen vom Weiß ins Orangerosa, von Englisch Rot ins Umbra….
Ich könnte noch mehr ins Schwärmen geraten. Meine Hochachtung vor diesem handwerklichen Können Guido Renis hat meine „Schnelles Urteil“ von vor mehr als 30 Jahren ins Gegenteil gewendet.
Fantastisch, wie das Auge durch die Glanzpunkte lebendig wird, die Gefühlslage sich ausdrückt… alles scheint beseelt.
Ob bei jungen Frauen, bei alten Männern oder kleinen Kindern!
Mal entrückt, mal voller Schmerz, mal weinend, mal sehnsuchtsvoll, mal Angst erfüllt….

Diese Augen lügen nicht! Sie sind emphatisch!

Ist Guido Reni auch für Sie „Il Divino“?
noch ein Tipp:
auf der Städel-Web Seite finden Sie eine hervorragende Einführung….
Januar 2023
Andreas Kuhlmann………………………………………….. im Fokus!